16. Juni 2010

OP DER RULL (10): UWESEELA

Können Wasserschweine Fallrückzieher? Wenn sie lange genug trainieren, bestimmt. Aber wozu soll das gut sein? Viel lieber sitzt Mijnheer C. dieser Tage auf der häuslichen Couch und lässt sich die Ohren volldröhnen. Erstaunlich, wie häufig diese Tröten schon „vernannt“ wurden: Vezuvela, Vuzuvale, Vuzuleva, Zuluvesa ... Am besten aber gefällt unserem Mitgucker die eingedeutschte Afrikaans-Version „Uweseela“. Die kann er sich inzwischen problemlos merken, nachdem er sie in den ersten zwei, drei Tagen stets mit „Venezuela“ verwechselte. Kein Wunder, denn das ist das Land, aus dem Mijnheer C. eigentlich herkommt. Leider ist Venezuela diesmal bei der Fußball-WM nicht vertreten – aber war das überhaupt schon einmal der Fall? Na gut, dafür sind etliche andere Nationen dabei, in denen das Stacheltier auf Verwandtschaft, wenn auch nur auf entfernte, verweisen kann: Uruguay, Paraguay, Chile, Argentinien, Brasilien ... Sonst noch wer? Spanien! Nein, in Spanien lebt das Wasserschwein höchstens im Zoo. Dafür wird Spanien Weltmeister werden, wer sonst. Darauf geht Mijnheer C. jede Wette ein, im Sitzen, im Stehen wie im Liegen. Und wenn es sein muss, jongliert er sogar eine aus Zeitungspapier nachgemachte „Uweseela“ auf der Schwanzspitze, mindestens drei Sekunden hintereinander und ohne die geringste Bodenberührung.
© Georges Hausemer

11. Juni 2010

OP DER RULL (9): SEEIGELEIER UND GRÜNE KANINCHEN

Minus 19 Grad Celsius im Juni? Das haben Wasserschweine davon, wenn sie sich um diese Jahreszeit auf der südlichen Halbkugel tummeln. Dazu noch auf knapp 5.000 Metern Höhe und um sechs Uhr morgens, lange bevor „Tata Inti“, der Sonnengott, seine Nase über den höchsten Andengipfel zu strecken beginnt. Da hilft auch das dickste und dichteste Stachelfell nichts. Lama müsste man sein! In einen herrlich warmen Wollumhang gewickelt, von den Ohren bis über die Knöchel. Oder wenigstens ein „vicuña“, Lamas nur unwesentlich dünner gepolsterter, aber dafür viel feinhaarigerer Cousin, der sich ebenfalls im chilenischen Hochgebirge herumtreibt und die Löffel spitzt, sobald sich irgendwo ein Capybara zeigt, der eigentlich gar nicht hierher gehört. Genau aus diesem Grund, also wegen der Fehl-am-Platzigkeit, hatte Guillermo, der Führer der Ausländertruppe, neben der Thermoskanne mit heißem Wasser für Kaffee und Tee zusätzlich eine handliche Sauerstoffflasche dabei, für alle Fälle, falls einem seiner Gäste der Atem knapp werden oder die Luft gänzlich wegbleiben würde. Keine Seltenheit auf gut 4.900 m ü. M., zumal bei Lungenkranken, auch wenn die Notboddel dem Hobbyandinisten eher wie ein Sahnespender zum Garnieren des Instantgetränks vorkam, wie eine Spraydose, deren süßen Inhalt man gewöhnlich zum Verzieren von Hochzeitstorten verwendet.
Señor C. kommt soeben also aus Südamerika zurück, nach wie vor leise hechelnd und gleichzeitig mit leicht angesengtem Nasenspitzchen. Ach, wie bequem lag es sich dort am weich-warmen Busen von Pachamama! Wie majestätisch schoben sich die „abus“ genannten Vulkane vor den wolkenlosen Horizont! Wie wütend schnaubten die Geysire von „Tata Tatio“, dem rauchenden Vater!
Später, weiter südlich, folgten die weniger angenehmen Begleiterscheinungen des chilenischen Winters: Regen, Hagel und Sturm; Wellen, Donner und Blitz. Und nicht zu vergessen (denn Señor C. lässt sich immer wieder gerne auch auf kulinarische Wagnisse ein, mit ab und zu ziemlich unerfreulichen Folgen): die sogenannten Seeigelzungen, die in Wirklichkeit Seeigeleier und fest zusammengepappt waren, furchtbar salzig und leider auch schon ein wenig ranzig schmeckten. Also ließ C. die Pfoten rasch davon weg, um sich leckereren Dingen zuzuwenden: der kräftigen Seeaalsuppe beispielsweise (angeblich das Lieblingsgericht von Pablo Neruda, einem der berühmtesten Chilenen überhaupt), den panierten Austern, denn extrem bissfesten Meeresschnecken, dem „curanto“ genannten, deftigen Muschel- und Fleischeintopf, dem unumgänglichen, wiewohl selten gewordenen Lachs in allen möglichen Darreichungsformen.
Darauf einen Pisco Sour! Einen doppelten sogar. Und noch besser: Dazu ein paar saftige Kokablätter in die rechte Mundtasche schieben, loskauen, durchhalten.
PS: Was Señor C. zu fragen vergaß: Ob die „vizcachas“, die kleinen Kaninchen mit dem grünlich schimmernden Fell, die unermüdlich durch das Gestrüpp und Geröll der Atacama-Wüste hoppeln, eher gekocht, gebraten oder gegrillt verspeist werden? Der Stachelige muss also noch einmal hin. Doch dann nimmt er seine ganz persönliche Betreuerin mit, versprochen.
© Georges Hausemer

© Georges Hausemer