26. Dezember 2012

BEI DER GERINGSTEN ERSCHÜTTERUNG

Alles vollgestellt. Kaum mehr ein Durchkommen. Überall diese Kartons. Aufeinandergestapelt wie Wolkenkratzer. Und aus jedem Karton eine andere Stimme. Ein Stimmenkonzert, allerdings kakophonisch. In undefinierbaren Sprachen. Ein einziges tönendes Durcheinander. Nicht einmal Wortfetzen herauszuhören. Ein Flur, mehrere Zimmer, der ganze Keller voller Pappkisten. In verschiedenen Größen, aber alle das gleiche Modell, dieselbe Farbe. Die das Atmen erschwert. Das geringste Stolpern, die kleinste Erschütterung, und sämtliche Türme stürzen ein. Akustischer Zusammenbruch. Tonscherben, im wahrsten Sinn des Wortes. Kann man nicht mehr zusammenfegen, lässt sich mit keinem Stoff kitten. In keinem Land, auf keinem Kontinent. Wem die Stimmen einst gehörten, ist auch nicht mehr festzustellen. Wo sie herkamen, wer sie aufnahm, wie sie in die Kartons gelangten – Fehlanzeige, durch die Bank. Aber es gibt immer Geräusche, die jemanden stören. So leise sie auch sein mögen.

MEHR GÄSTE ALS STÜHLE - KEINE WEIHNACHTSGESCHICHTE

Nicht zum ersten Mal schlug er sich mit diesem Problem herum. Es gab mehr Gäste als Stühle. Zudem waren einige Stühle aus unterschiedlichen Gründen nicht zu gebrauchen. Es kam, wenn auch nicht zu lebensbedrohlichen, so doch zu gesundheitsgefährdenden Situationen. Ein junger Mann mit Bart verlor einen Schneidezahn. Seiner Begleiterin riss die Hosennaht am Hintern. Alle taten, als hätten sie nichts bemerkt. Dabei war das gar nicht möglich. Die junge Frau schrie wie am Spieß. Ihr Freund, - ja, vermutlich war es ihr Freund – versuchte sie zu beruhigen. Dabei klaffte deutlich sichtbar die Lücke in seinem Mund, sogar ein paar Tropfen Blut rannen ihm über Unterlippe und Kinn. Der Gastgeber war um Ruhe bemüht, doch die Stimmung wurde zunehmend aggressiver. Als die junge Frau verstummte, machten andere Anwesende sich bemerkbar. Einmal flog ein Stuhl durch den Raum, dem ein Bein fehlte. Als er gegen das Bücherregal krachte, zerbrach er in drei Teile. Eines der noch vorhandenen Beine traf eine der Serviererinnen an der Schläfe. Erneute Schreie, noch mehr Blut. Pochender Erguss. Stakkatospritzen. Ein blutjunger Mann fasste sich grinsend in den Schritt. Ein älterer Gast, dem schon lange kein Haar mehr nachwuchs, wollte die Verletzte trösten, doch mit einem scharfen Blitz in den Augen stieß sie ihn von sich. Der alte Mann schlug mit dem Rücken gegen den auf Volltouren aufgedrehten Heizkörper. Schon wieder hatte ein Stuhl gefehlt.

25. Dezember 2012

P. O. BOX (17): SCHÖNE LITERARISCHE BESCHERUNG?

Esch am See. Tania Naskandy ist definitiv ein anderer. Aber nun soll ich Nico Valentin sein! Das behauptet jedenfalls Leserin S. B. (Name und Mailadresse sind der Redaktion DER CAPYBARA GAZETTE bekannt), die just am Vorabend von Heiligabend einen elektronischen Brief verschickt hat, in dem sie den Verfasser vorliegender Neuigkeit des Pseudonym-Gebrauchs bezichtigt. Aber lesen Sie selbst: “Guten Abend Herr H., wieso nennen Sie sich denn plötzlich Nico Valentin? Gefällt Ihnen der eigene Name nicht mehr? Leider verwenden Sie nicht viel Sorgfalt auf Ihre Tarnung. Durch den Namenswechsel werden Ihre Texte übrigens nicht besser. Das alles wirkt wie ein schaler Con Dao-Aufguss.“
Frechheit!, findet Herr H., ohne zunächst zu wissen, worauf die erboste Dame denn eigentlich anspielt. Aber ein kurzes Guggeln bringt Aufklärung. Besagter „Nico Valentin“ hat unlängst im Eschsauerer Verlag Op der Lay von Robert „Gollo“ Steffen einen Erzählungsband mit dem Titel „Epidauros läit um Mier” veröffentlicht. Nun, Wasserschweine sind bekanntlich keine Meeresbewohner, sondern Sumpfhocker, deshalb dauert es manchmal eine Weile, bis sie solche Publikationen sowohl en gros als auch en détail zur Kenntnis nehmen. Aber spannend wär’s ja schon herauszufinden, wieso die pfiffige Buchleserin – eine aussterbende Rasse, wie wir längst wissen – auf den Pseudonym-Verdacht kam und weshalb sie sich hier wie dort über mangelnde Qualität beschwert. Kann jemand helfen? Weiß jemand mehr? Kann einer handfeste Beweise vorlegen? Zuschriften bitte an die Chefredaktion dieses exklusiven Magazins, das bekanntlich in keinem noch so mies bestückten Zeitungsladen zu finden ist.
By the way: Seit kurzem steht also fest, dass weder Tania Naskandy noch Nico Valentin noch irgendwelche dahergelaufenen Wasserschweine sich und ihre gedruckten Hervorbringungen im Jahr 2013 auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig präsentieren können müssen wollen werden. Jedenfalls nicht auf einem großherzoglichen Nationalstand, denn dafür fehlen in diesen Zeiten die Kröten. Es sei denn, die buchaffinen Herr- und Tierschaften schaffen es quasi privat, dem Kulturministerium die nötige Kohle aus seinen notorisch mageren Rippen zu leiern, was wohl einem Wunder gleichkäme, denn bekanntlich fließt der ganze Zaster eher in Musik, Film und andere „chouchous“ der zuständigen Ministerialbeamten, die Frankfurt höchstens wegen der Würstchen und Leipzig eher dank der Keksindustrie kennen. So viel dazu! Trotzdem einen tollen Rutsch in ein strahlendes neues Jahr wünscht ... Na, Sie wissen schon: Chigüire &  Co.