26. Mai 2010

OP DER RULL (8): DAS WUNDER VON VINUESA

Als es geschah, das Wunder von Vinuesa, herrschte über der „Laguna Negra“ die perfekte Wolkenlosigkeit. Der Himmel war blau wie ein frisch gewaschenes Tischtuch; die Wälder und Felsen ringsum das dunkle Gewässer funkelten noch, als die Sonne längst nicht mehr zu sehen war und Capybara schon mit hochgeschlagenem Kragen über den Holzsteg spazierte. Vor seinen staunenden Augen: prächtige Findlinge, von einem urzeitlichen Vulkan einst an die Hänge der Sierra de Urbión gespuckt und nun mit der Spitze aus dem düsteren Wasser der Lagune ragend, die, der Legende nach, bodenlos tief ist und über deren Grund drei Leichen schweben: die von Alvargonzález und die seiner Mörder, die gleichzeitig seine Söhne waren und ihren Vater aus Habsucht getötet haben, um frühzeitig an ihr Erbe zu gelangen, und dessen leblosen Körper sie ins Wasser warfen, in der Folge aber dennoch nicht glücklich wurden, weil die Natur sie für ihre frevelhafte Tat bestrafte, sie, die einfachen Bauern, an jahrelangen Missernten leiden ließ, woraufhin die beiden Brüder beschlossen, ihr Land zu verlassen, sich auf ihrer Flucht jedoch in den endlosen Wäldern der kastilischen Provinz Soria verirrten und schließlich genauso in den Fluten der „Laguna Negra“ landeten wie der Leib ihres unglücklichen Erzeugers.
Gerne hätte Capybara, trotz der Schaurigkeit dieser Geschichte und obwohl sich die Sonne bereits hinter dem imposanten Hochgebirge verabschiedet hatte, kurz eine Vorderpfote in das schummrige Nass gestreckt und sich ein wenig die Schnauze erfrischt, doch die Zeit drängte. Es ging auf halb acht zu, die Mägen knurrten, bald würde, eintausendfünfhundert Kilometer entfernt, das Spiel angepfiffen werden. Welches Spiel?, mag mancher fragen. Und von welchem Mysterium geht hier eigentlich so großspurig die Rede? Und was bedeutet Vinuesa?
Na gut, wir sind erneut bei Capybaras altbekannter Schwäche für den Fußball gelandet. Bei Jeunesse E., seinem Lieblingsverein, der neulich unerwarteter-, ja tatsächlich wundersamerweise den großen, nicht für möglich gehaltenen Coup gelandet und sich die diesjährige Meisterkrone aufgesetzt hat. Ausgerechnet an dem Tag musste Capybara, der stachelige Fan, sich in dem nordspanischen Gebirgskaff besagten Namens herumtreiben, in die wässrigen Abgründe der Schwarzen Lagune starren und sich von Horrorstorys die Sinne verwirren lassen, statt sich daheim auf den billigen Stehplätzen die Beine in den Bauch zu zittern.
Zum Glück war die Posada La Casona, in der das treulose Wasserschwein vorübergehend Quartier bezogen hatte, technisch auf dem allerneuesten Stand. Es gab Laptop und WLAN, Gratisverbindung und Maus, so dass der kurzzeitig exilierte Anhänger bereits Sekunden nach dem Schlusspfiff den definitiven Endstand vor sich hatte. Um die Unterlegenen, vor allem die aus dem Nachbarstädtchen D., nicht unnötig weiter zu quälen, muss das Resultat an dieser Stelle kein weiteres Mal in vollem Wortlaut dargelegt werden.
Zum Schluss und ausnahmsweise noch dieser Aufruf in eigener Sache: Wer kennt jemanden, der in der nächsten Saison mit Sicherheit ein bis zwei Tore pro Spiel schießt? Und das nächste Mal: Wieso der weibliche Orgasmus in Spanien auch noch „la corrida“ genannt wird. Oder: Was eine Autobiografie von einer Autopornografie unterscheidet.
Übrigens: Sex und Erotik kommen in der CG leider immer noch zu kurz (behauptet zumindest Geronimo, ihr treuester Leser, auch wenn er das öffentlich niemals zugeben würde).
© Georges Hausemer

© Georges Hausemer