15. Januar 2011

OP DER RULL (14): EHEMALS ATLANTIS

Wie Wasserschweine halt so sind, gelegentlich: Hängen mit der Schnauze im westseitigen Atlantik, lassen den Bauch genüsslich über den dschungelähnlichen Krater des Vulkans mit dem schönen Namen San Antonio baumeln und schlagen wütend mit dem Schwänzchen nach den ost- und südseitigen Nachbarinseln. Nichts für ungut, so lassen ein Winter, zwei wechselnde Jahre und drei bis vier heimatferne Wochen sich einigermaßen aushalten. Dabei, auf den flüchtigen Blick durch die Sonnenbrille hin, Trägheit vortäuschend, aber im Grunde schwer am Überlegen und Planen. Was der nächste Sonnenaufgang wohl bringen wird, der bevorstehende Abstecher ins inselumspannende Bananenstaudenlabyrinth, die genaue Beobachtung der ahnungslosen Passanten auf der Plaza de España von Los Llanos de Aridane, Richtung Calle Real, die bis vor kurzem noch nach General Francisco Franco benannt war und nun ins andere, ins königliche Extrem gefallen ist.
Passanten also: Paare, Einzelgänger, Alte, mit und ohne Hund, Knochengestelle und Fettleiber (Letztere durchaus keine neuzeitliche Erscheinung, denn bereits 1590 schrieb ein gewisser Leonardo Torriani über die Bewohner von La Palma: „Diese waren weißere und dickere Menschen als die anderen Inselbewohner“), unfreiwillige Verströmer der scharfen Gerüche, die aus den offenstehenden Fenstern der umliegenden Restaurantküchen wabern. Mitten unter ihnen allen: Capybara, von der nächtlichen Feuchtigkeit noch bibbernd, gleichzeitig schon von der Morgensonne ermattet. Warum Señor Chiguire sich dennoch recht wohl fühlt im Schatten der indischen Lorbeerbäume auf dem Zentralplatz? Ringsum entdeckt er Gesichter, vernimmt er Stimmen, Töne und Geräusche, die ihn an sein erstes, sein eigentliches Heimatland erinnern: Venezuela. Auch die Hunde Makaronesiens, der Glücklichen Inseln, kommen Capybara bekannt vor: wilde, räudige, herrenlose Köter, die offenbar nichts Besseres zu tun haben, als mit ihrem Gekläffe und Gejaule den im Moment noch intakten Ruf des Eilands zu ruinieren, von dem manche behaupten, es sei einst als Atlantis untergegangen und irgendwann später als westlichste Insel der Kanaren aus den Meeresfluten wiederauferstanden.
Geschichten, wie die ruhelosen, nach Wärme und Erklärungen gierenden Wasserschweine sie zwar lieben, aber dafür noch lange nicht glauben.
© Georges Hausemer

© Georges Hausemer

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