Esch-au-Lac. Soeben ist die Jubiläumsausgabe der kleinen, aber feinen spanischsprachigen Literaturzeitschrift „abril“ erschienen, die seit 1991 zweimal jährlich von einer Gruppe engagierter EU-Übersetzer in Luxemburg herausgegeben wird. Gratulation! Solcher Ausdauer, solchem Engagement, solchem Wissen und Können muss gerade hierzulande aus Leibeskräften applaudiert werden. ¡Enhorabuena, amigos! Nur: Warum sieht die kürzlich aus der Druckerpresse gekommene Nummer 40 von „abril“ wie ein Sarg aus? Das Cover schwarz wie die düsterste Winternacht. Darauf kein einziger Buchstabe. Kein Titel, keine Zahl, weder auf dem vorderen Cover noch auf dem Rücken und auch nicht auf der 4. Umschlagseite. Alles nur schwarz! Kohlrabenschwarz, zappenduster, finster, ohne den leisesten Lichtblick, kein Farbton, der das Auge erfreut, kein Buchstabe, der Erhellung bringt. Sondern ein schmales Bändchen, in Trauer gewickelt, ein Büchlein wie eine Todesanzeige.
Ob dieses gruftige Design wohl einen tieferen Sinn hat? Ob der Käufer und hoffentlich auch spätere Leser bereits vom Äußeren her auf den Inhalt der 40. „abril“-Ausgabe schließen soll, der diesmal ausschließlich von 18, teils ganz-, teils teilluxemburgischen Autorinnen und Autoren bestritten wird, von Poetinnen und Romanciers, Erzählern und einer Vorwortverfasserin, das Ganze, passenderweise, illustriert mit Werken von Andrés Lejona, dem zweifellos spanischsten aller luxemburgischen Fotografen? Nein, man soll, man darf dem rührigen José Holguera und seinen nicht weniger fleißigen Redaktionskollegen keine böswilligen Absichten unterstellen – auch wenn sie ihrem Korrektor diesmal manch peinlichen Flüchtigkeitsfehler durchgehen ließen. So pessimistisch, so trüb, trost- und hoffnungslos, wie besagter Umschlag vermuten lässt, sind die ausgewählten und ins Kastilische übersetzten Texte gar nicht. Aber vielleicht ist dieses kleine „Schwarzbuch“ der luxemburgischen Gegenwartsliteratur in einer ganz anderen, von den Machern eher ungewollten Hinsicht symptomatisch für die gegenwärtige Literaturszene und die zum Teil unsäglichen Diskussionen, die auf der heimischen Bücher- und Schreiberbühne derzeit geführt werden. Mit literarischen Inhalten, Themen, Stoffen, Stilen und Formen haben diese (Pseudo-)Debatten nichts zu tun, leider. Stattdessen geht es bei den Streitereien der letzten Monate vorwiegend um außerliterarische Formalitäten und persönliche Animositäten, um Grabenkämpfe und Gockelgehabe, um Streitlust, Zerstörungswut und Imponiersucht, um Einmischungsversuche diverser Herrschaften, die von dem, was tatsächlich auf dem Spiel steht, nicht die geringste Ahnung haben. Oder wie ist zu verstehen, dass die Chefin jenes Ministeriums, dem die Herausgeber der neuesten „abril“-Nummer für seine „colaboración“, also die Zusammenarbeit – heißt vermutlich: für die finanzielle Unterstützung – danken, kürzlich verlauten ließ, ihre Verwaltung würde in Zukunft als Verleger auftreten und die Gewinnertexte des jährlichen nationalen Literaturwettbewerbs in Buchform veröffentlichen. Mit Verlaub: Ist die Dame nun endgültig von allen guten Kulturgeistern im Stich gelassen worden? Wie soll das denn gehen? Ein Ministerium als Büchermacher? Und wer, bitte, kümmert sich um Lektorat, Vertrieb, Marketing? Welcher ernstzunehmende Autor möchte denn seine Werke unter dem Signet einer staatlichen Behörde veröffentlicht sehen? Erinnert sich noch jemand an die DDR? Wie war das in Rumänien unter Ceausescu? Schon mal was von den Staatsverlagen Chinas und Nordkoreas gehört?
Apropos nationaler Literaturwettbewerb. Im selben Zusammenhang wurde neulich eine weitere, in der Montée de la Pétrusse ausgebrütete Schnapsidee publik. Künftig soll besagter Wettbewerb nämlich in zwei Alterskategorien unterteilt werden, um, wie von zuständiger, aber leider meistens von Sachkenntnis unbeleckter Stelle behauptet wird, Nachwuchsautoren zwischen 15 und 25 Jahren bessere Gewinnchancen zu bieten. ¡Díos mío! Sind wir hier auf der Pferderennbahn? Oder im Boxring? Wie stellen die ministeriellen Veranstalter sich das denn vor? Wie sollen die Juroren, sofern sie denn überhaupt und auch prinzipiell dazu imstande sind, die Erstergüsse pubertierender Jugendlicher mit einem eventuell bereits reifen Werk eines Jungautors vergleichen, der gegebenenfalls schon ein abgeschlossenes Universitätsstudium hinter sich hat?
Thomas Mann war übrigens erst 23, als er die „Buddenbrooks“ verfasste, während Paulo Coelho auch im gestandenen Mannesalter von 63 nur gequirlten Buchstabenkitsch zustande bringt. Wer lieber auf die Hervorbringungen des Brasilianers verzichten möchte, kann in der neuen „abril“ u. a. einen Auszug aus dem bislang unveröffentlichten Roman „Taumel“ von Nico Helminger lesen. Vorausgesetzt, er versteht Spanisch oder hat jemanden zur Hand, der ihm die entsprechende Rückübersetzung ins Deutsche liefern kann. In besagter Montée de la Pétrusse sollte man nach so jemandem aber besser nicht suchen.
© Georges Hausemer
9. Dezember 2010
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