13. November 2011

P. O. BOX (9): KLEINE, DUMME LUXEMBURGER

Esch-au-Lac. Dieser Tage erschien in der Wochenzeitung „Le Jeudi“ (vom 10. November 2011) ein Dossier über die Rolle und Bedeutung der französischsprachigen Zeitungen in der luxemburgischen Presselandschaft der letzten hundert Jahre. Darin war ein Satz zu lesen, der merkwürdigerweise bislang noch nirgendwo kommentiert oder auch nur erwähnt wurde. Der Satz, ein nicht näher erläutertes und auch nicht mit Quellenangaben versehenes Zitat, lautet: „Quand un petit Luxembourgeois s’exprime en allemand, il entre dans une maison de plain-pied, située dans sa rue. Quand il parle français, il s’ouvre au monde.“
Ein äußerst bedenklicher, problematischer, eigentlich unerhörter Satz. Unterstellt er doch, kurz gesagt, all jenen einheimischen Autoren, die nicht Französisch, sondern „nur“ Deutsch (und eventuell Luxemburgisch) schreiben, bis heute im Provinziellen stecken geblieben zu sein. Während nur jene Landsleute, die sich wie Molière, Sartre und Houellebecq auszudrücken pflegen, imstande seien, ihre kleine, enge und, so das „sous-entendu“, intellektuell beschränkte Heimat zu verlassen, sich der Fremde zu öffnen, kosmopolitische Gesinnung zu zeigen.
Gelinde gesagt: eine Frechheit! Zumal sie aus der Feder von jemandem stammt, der eigentlich wissen müsste, dass die Maxime, die besagt, der Deutsch und/oder Luxemburgisch Schreibende bliebe gezwungenermaßen im Mief seiner bäuerlich-kleinbürgerlichen, geistfernen Herkunft gefangen und nur der Frankophile und Frankophone sei imstande, sich der großen weiten Welt zu stellen, dass diese Maxime spätestens seit den frühen 1980er Jahren völlig abgelutscht ist und sich mit dem Erscheinen der ersten Romane von Guy Rewenig und Roger Manderscheid auf „Lëtzebuergesch“ erledigt hat.
Ein guter alter Freund, den ich mit besagtem Statement konfrontierte, meinte, es könne eigentlich nur von einem „grand con français“ getätigt worden sein, denn wer sonst würde sich wohl erlauben, von einem „petit Luxembourgeois“ zu sprechen? Nun, leider hat mein Freund Unrecht. Die realitätsfremde und wirklichkeitsverfälschende Aussage stammt von einem Luxemburger und ist obendrein ein Beleg dafür, dass die oft auch für Ausländer nur schwer erträgliche Arroganz „à la française“ nicht nur in Pariser Politiker- und Intellektuellenkreisen grassiert. Der Name des Urhebers: Frank Wilhelm, seines Zeichens Französisch-Professor an der Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften der Universität Luxemburg. Zudem firmiert Frank Wilhelm – und das macht seine Ansichten noch dubioser – als der für Luxemburg-spezifische Aspekte zuständige Direktor des Studiengangs „Master en études franco-allemandes: communication et coopération transfrontalières“ – eines Studiengangs übrigens, dessen Namen und detaillierter Beschreibung auch auf der deutschsprachigen Internetseite der Uni Luxemburg keine Übersetzung aus dem Französischen zuteil wird. Was muss man aus all dem schließen? Und was hindert uns daran, die Meinung, die Professor Wilhelm schon vor zehn Jahren erstmals zum Besten gab, einmal ausführlich zu diskutieren?

P. S.: Wann geben die Veranstalter eigentlich die Resultate des diesjährigen Nationalen Literaturwettbewerbs bekannt? Gesucht wurden/werden die besten Gedichtsammlungen, für die das nicht nur in Sachen Literatur lächerlich inkompetente Kulturministerium einen ersten Preis von lächerlichen 1.500 € und mehrere noch lächerlich geringer dotierte Neben- und Spezialpreise ausgelobt hat. Hat sich überhaupt jemand an dem Wettbewerb beteiligt? Wenn meine Erinnerungen mich nicht trügen, war von verschiedenen Seiten empfohlen worden, den einst angesehenen, inzwischen leider zu einer Farce degradierten Wettbewerb schlichtweg zu boykottieren, aus Protest gegen das unerträgliche, autoren-, buch- und literaturfeindliche Gehabe einzelner Entscheidungsträger in besagtem Ministerium.
© Georges Hausemer

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