Zuvor aber noch dieses und auch jenes: In einen Kimono gehüllt, knabberte Capybara kandierte Kastanien; die Fahrt zwischen Vilnius und Minsk absolvierte er im blauen Salonwagen der belarussischen Eisenbahn; mit einem für seine Bierexzesse berüchtigten Drehleierspieler besuchte er ein nicht stattgefundenes Konzert im Nordosten des polnischen Marienlandes; mit einem wahrhaftigen Professor aus dem Schwabenland lutschte er an einem molekular gelierten Apfelschnitz; vor Publikum zerstampfte er kartoffelige Klischees in Buchstabensauce; mit einer wahrhaftigen Köchin blätterte er sich durch leckerste Rezepte; mit heftigen Flossenschlägen ruderte er selbst ins Schwabenland, um über seine Reiseabenteuer zu berichten, ohne zuvor oder danach den Professor zu besuchen, der lebt und forscht nämlich in Mainz, wo Capybara auch schon einmal Bauchweh hatte.
Aber was ist das, ein Abenteuer? Und wenn ja, warum? (Gruß an Guychen in Köln, der von einem Blatt namens „Capybara Gazette“ bestimmt noch nie etwas gehört hat – egal.) Wasserschweine verfügen bekanntlich über ein außerordentlich und deshalb äußerst bedenklich kurzes Gedächtnis, weshalb sie gezwungen sind, sich alles, aber auch wirklich alles zu notieren, sofern Schreibzeug vorhanden ist. Andernfalls ritzen sie sämtliche Einzelheiten mit ihren bekanntlich äußerst gefährlichen Klauen als Geheimzeichen in die Erde (oder Beton, Holz, Tatami – je nachdem, auf welchem Untergrund sie ihre Dickbäuche gerade niedergelassen haben). Bleibt nur zu hoffen, dass sie ihre mysteriösen Codes zumindest selbst noch entziffern können, nach einer gewissen Zeit, sechs Stunden, zwei Tage später oder so.
Abenteuer also. Musiker, die vor lauter Zittrigkeit den Hebel ihrer Leier nicht mehr drehen können; Bäcker, die mitten in der Wüste zentnerweise Apfelkuchen backen; Schafhirten, die sich mitsamt Herde an den Concha-Strand von San Sebastián verirrt haben; Geishas, die ihren Geist fließen lassen wie im Wellenmuster japanischer Dachziegel.
Genügt das? Nun, Capybara könnte sich überlegen, demnächst nach Paraguay auszuwandern, um bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gegen den populärsten Bischof des Landes anzutreten, unverkleidet natürlich und ohne tierische Maske. Oder das namibische Wörterbuch auswendig zu lernen, zumal er einige Ausdrücke bereits vortrefflich beherrscht: Oanob, Ohakane, Okahandja, Okatumba, Okombahe, Otjikoto, Owambo ...
So, das muss für heute genügen. Rasch noch den restlichen Singapore Sling geleert, die längsten Spinnenbeinchen aus Nase und Ohren gezupft und auf geht’s. Der Bus wartet nämlich schon, aber nicht ewig.
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P. O. BOX (3)
Esch-au-Lac. Der Titel des Romans steht nun fest: „80 D“. Gestern am späten Abend flatterte der entsprechende Vertrag zu dem nur eine Hand breit geöffneten Wohnzimmerfenster herein, unfrankiert, im durchsichtigen Plastikhemdchen. Ein Frauenroman!, behauptete der Verfasser. Keineswegs!, erwiderte seine allerliebste Lektorin, in diesem Fall haben wir es mit einem ..., einem ..., ja, mit einem typischen Männerroman zu tun. Mit einem esoterisch-pornographischen Machwerk übelster Sorte, fügte eine weitere Dame aus der Runde hinzu, die noch keine einzige Zeile davon gelesen hat. Typisch! Den Brei in den Ausguss schütten, bevor er gesalzen und gepfeffert ist. Kapiert haben’s einmal mehr nur die Kinder des Autors – drei pelzige Gesellen, die sich dem Erwachsenwerden konsequent verweigern. Papi, Papi, rufen sie unisono aus ihrem Versteck, deine Schnitzelchen heute waren wieder ein Gedicht.
© Georges Hausemer 18.11.2009
© Georges Hausemer
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